Nikabis in Deutschland sind sehr heterogen, sie sind kein monolithischer Block. Dabei gilt: „Kennst du eine Nikabi, kennst du genau eine Nikabi.“

Nikabis haben sehr verschiedene Gründe für ihre Entscheidung, Nikab zu tragen. Und sie gehören sehr verschiedenen Bewegungen und Strömungen an. 

Viele mag überraschen, dass nicht wenige Nikabs Deutsche sind und schon lange in Deutschland gelebt haben, ehe sie sich für den Nikab entschieden haben. 

Freiwilligkeit

Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Frauen, die in Deutschland zum Tragen des Nikabs gezwungen werden, sehr gering ist.

Persönlich kann ich sagen, dass ich noch keine getroffen habe – und auch die Nikabis, die ich kenne, haben noch keine getroffen.

Aus eigener Erfahrung kenne ich mehr Frauen, die gerne Nikab tragen würden, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht wollen. Besonders häufig höre ich: „Mein Mann will es nicht“ oder „meine Eltern sind dagegen“. Ich habe bisher keine Nikabi getroffen, die gesagt hätte: „Mein Mann will es, also tue ich es.“ Das mag es geben, aber meine Erfahrung spricht eher dagegen.

Gar nicht so selten ist, dass die Nikabi religiöser ist als der jeweilige Ehemann. Während er sich vielleicht gerade einmal an die wichtigsten Gebote hält, nimmt sie es meist genauer, gerade auch mit der Kleidung.

Zahlen

Es ist nicht genau bekannt, wie viele Nikabis in Deutschland leben. Niemand hat sie gezählt. So kann die Zahl nur geschätzt werden.

Vorsichtig geschätzt machen Nikabis in mitteleuropäischen Ländern ca. 0,003–0,005 % der Bevölkerung aus.

In Deutschland wären das bei 83,5 Millionen Einwohnern 3.340 Frauen. Die Schätzungen reichen von 2000 bis 4000. Das hängt natürlich auch davon ab, ob Frauen mitgezählt werden, die den Nikab nur zu bestimmten Anlässen tragen, beispielsweise an islamischen Feiertagen oder wenn ihnen einfach nur danach ist. Denn auch diese Frauen gibt es, die den Nikab nicht ständig in der Öffentlichkeit tragen. Manche nutzen ihn auch, um etwa auf dem Weg zu einer Feier unter Frauen ihr häufig aufwendiges Make-up vor den Blicken der Männer oder auch vor Umwelteinflüssen zu verbergen.

Herkunft

Eine weitere Schätzung besagt, dass eine von drei Nikabis eine zum Islam konvertierte Frau ist. Ein weiteres Drittel sollen Frauen sein, in deren muslimischen Familien der Nikab nicht getragen wird. Das letzte Drittel sollen Frauen aus Familien sein, in denen einige oder seltener alle weiblichen Familienmitglieder den Nikab tragen. 

Es ist also keineswegs so, dass alle Nikabis bereits mit Nikab nach Deutschland zugewandert sind. Viele leben schon ihr ganzes Leben oder zumindest viele Jahre hier, ehe sie den Nikab anlegen. 

Sehr viele Nikabis haben die deutsche Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltserlaubnis, sind also rechtmäßig in Deutschland und leben hier dauerhaft. Die häufig zu hörende Annahme „Nikab = Asylsuchende“ ist jedenfalls in dieser Verallgemeinerung nicht zutreffend.

Viele der Frauen, die aus Syrien oder anderen Ländern hierhergekommen sind und in ihrem Herkunftsland Nikab getragen haben, haben ihn nach ihrer Ankunft in Deutschland abgelegt – häufig auf Wunsch des Ehemannes, aus Sorge vor Rassismus und Ähnlichem. 

Religiöse Einstellung

Unbekannt ist, wie viele der Frauen, die Nikab tragen, ihn als Sunna (empfehlenswert), als Mustahabb (verdienstvoll) oder als Fard (Pflicht) betrachten. 

Unbekannt ist ebenfalls, wie viele der Frauen welchen islamischen Bewegungen oder Strömungen angehören.

Es sind längst nicht alle von ihnen Salafi (so wie umgekehrt nicht alle Frauen der Salafiyya Nikab tragen, auch wenn sie ansonsten oft Kleidung tragen, die den Körper verhüllt und nicht eng anliegt, wie einen Dschilbab oder Abaya und Khimar). 

Auch die Zugehörigkeit zu den vier großen sunnitischen Rechtsschulen (Hanafiten, Schafi'iten, Malikiten und Hanbaliten) oder dem Deobandi-Islam, der Wahhabiyya oder einer anderen theologischen Strömung ist nicht untersucht worden.

Es kann vermutet werden, dass viele dieser Frauen sich an den as-Salaf as-Salih (die ehrwürdigen und rechtschaffenen Vorfahren im Glauben), also den ersten drei Generationen des Islam, orientieren wollen, was vielen Muslimen als empfehlenswert und verdienstvoll gilt. 

Nikab oft nach einem besonderen Erlebnis angelegt

Viele Frauen legen den Nikab nach einem bestimmten Ereignis an, etwa nach der Geburt eines Kindes, nach einer überstandenen schweren Erkrankung oder Ähnlichem. Er steht dann für die Dankbarkeit gegenüber Gott, dem  Menschen  Barmherzigkeit erwiesen zu haben.

Nicht immer für den Rest des Lebens

Es heißt, die Frauen tragen den Nikab im Schnitt fünf Jahre, manche kürzer, manche länger. Er wird oft aufgrund von Anfeindungen, Druck aus dem familiären oder sozialen Umfeld oder anderen Gründen wieder abgelegt, nicht immer aus eigener Überzeugung. 

Frauen, die den Nikab gerne tragen würden

Unbekannt ist die Zahl der Frauen, die den Nikab gerne tragen würden, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht tun: Widerstand der Eltern oder des Ehemannes (häufig aus Angst um die Sicherheit der betreffenden Frau), Sorge vor Anfeindungen, Beleidigungen und Gewalt. Ich treffe mehr Frauen, die den Nikab gerne tragen würden, als Frauen, die ihn tatsächlich tragen. Es gehört viel Mut, Standhaftigkeit und Durchsetzungsvermögen dazu, in unserer Gesellschaft den Nikab zu tragen. 



Keine Kommentare

Kommentar hinterlassen

Als Antwort auf Some User